Unsere Kinder sollen selbstsicher sein, tolerant und weltoffen. Kinderbücher können viel dazu beitragen. Wir zeigen, weshalb das so ist und welche Werke empfehlenswert sind.

Manchmal fühle ich mich machtlos. Will etwas bewegen in dieser Welt, aber weiss nicht, wo anfangen. Weiss nur, dass mein Zeitbudget knapp ist und meine Energiereserve im Dauertief.
Wenn ich mich im Grossen verliere, hilft der Fokus aufs Kleine.
Wo kann ich konkret etwas tun gegen Intoleranz, Sexismus, Rassismus, Ableismus? Wie Nächstenliebe, Weltoffenheit, Empathie fördern? Bei meinen Kindern.
Ich kann ihnen Werte vorleben, das hilft erwiesenermassen am meisten. Zusätzlich kann ich ihnen andere Welten, Wege und Verhaltensweisen zeigen und diese dann gemeinsam besprechen. Ganz ungezwungen und altersgerecht, dank Kinderbüchern.
Warum sind Kinderbücher wichtig?
Das menschliche Gehirn reagiert auf Geschichten anders als auf Fakten. Geschichten aktivieren zahlreiche Teile des Gehirns, sie entfachen ein kleines Feuerwerk – und das löst Emotionen aus.
Wer eintaucht in eine Geschichte, verbindet diese Erfahrung in den meisten Fällen mit Genuss. Kein Wunder, dass dann auch der Lerneffekt viel höher ist.
Eigentlich weiss ich das. Und sage am Esstisch trotzdem zum siebenhunderttausendsten Mal «nöd gaagele», obwohl ich ahne, dass sich das niemals im Kindergehirn verankert. Wohingegen ein Kinderbuch über die Funktionsweise der menschlichen Verdauung subito und mühelos auswendig gelernt wird… (Buchtipp: Die Kackwurstfabrik)
Kinder lernen aus Kinderbüchern zum Beispiel: Perspektivenwechsel vollziehen, eine eigene Meinung entwickeln oder Emotionen einordnen.
Übrigens: Es ist nervig, eine Geschichte immer und immer wieder zu lesen, zu sehen oder zu hören. Aber für Kinder ist das äusserst wichtig: Die Wiederholung gibt ihnen Stabilität und Selbstvertrauen.
3 Kriterien, die Kinderbücher heute erfüllen sollte
#1 Geschlechter-Stereotype auflösen
Wenn wir Kindergeschichten erzählen, rutschen wir oft unbewusst in alte Muster zurück. Weil wir uns gedanklich an den Erzählmustern unserer Kindheit orientieren, und unsere Eltern orientierten sich beim Erzählen an den Geschichten ihrer Kindheit und so weiter.
So kommt es, dass wir durchs Geschichtenerzählen manchmal Stereotype zelebrieren, die wir im Alltag längst ablehnen.
Ein Beispiel aus einer wissenschaftlichen Untersuchung: Eltern erzählten ein Bilderbuch, wo eine Particular person in Feuerwehruniform abgebildet struggle. In rund 90 Prozent der Fälle wurde die Figur als Feuerwehrmann bezeichnet – obwohl das Geschlecht optisch nicht erkennbar struggle. An diesem Experiment nahmen nur Eltern teil, die im Alltag nach modernen Rollenbildern lebten, und viele waren danach erschrocken über ihre Aussage.
Es dauert, bis wir von früheren Normen wegkommen, sie sind im Gehirn wie eingebrannt.
Und genau wie schlechte Gewohnheiten lassen sich auch Genderstereotypen nicht einfach tilgen, sie werden erst durch stetige Wiederholung überschrieben.
Drum eignen sich Kindergeschichten, in denen Geschlechterrollen nicht starr sind. In denen zum Beispiel:
- alle Kinder mutig, ängstlich, wild, brav, schlau oder fies sein können, egal welches Geschlecht sie haben.
- Personen verschiedener Geschlechter lange oder kurze Haare tragen, und Kleider in allen möglichen Farben.
- Mütter und Väter berufstätig oder im Haushalt engagiert sind.
- alle Erwachsenen trösten, kochen, flicken, weinen, fluchen können.
- gleichgeschlechtliche Liebe vorkommt.
- Vertreter verschiedener Geschlechter Held:innen oder Schurk:innen sind.
Buchtipps
- Die dumme Augustine (Ottfried Preussler und Herbert Lentz)
- Ich habe eine Freundin, die ist Polizistin (Ralf Butschkow)
- Zwei Papas für Tango (Edith Schreiber-Wicke und Carola Holland)
- In einem tiefen, dunklen Wald (Paul Maar und Verena Ballhaus)
- Das bin ich – von Kopf bis Fuss (Dagmar Geisler)
- Good Night time Tales for Rebell Women (Elena Favilli und Francesca Cavallo)
- Bruno will hoch hinaus (Sabine Ziegelwanger, Flo Staffelmayr, Anna Horak)
- Lina die Entdeckerin (Katharina Hotter, Lisa Sonnenbarger, Flo Staffelmayr)
#2 Vielfalt aufzeigen
Kinder suchen sehr früh nach Regeln und Mustern. Diese zu kennen und Leitplanken zu folgen, gibt ihnen Stabilität. Sie wollen verstehen, in welchem Kontext sie stehen.
In der realen Welt sehen sie, dass wir Menschen uns in äusseren Merkmalen unterscheiden. Wichtig ist aber auch, dass sie keine Verknüpfung machen zwischen Aussehen und Hierarchisierung von Gruppen. «Diese Verknüpfung ist die Quintessenz von Rassismus», sagt die Wissenschaftlerin Josephine Apraku in einem Interview.
Es ist essenziell, dass eine Kindergeschichte die Vielfalt in der Gesellschaft aufzeigt.
Und auch, dass Stereotypen aufgelöst werden und aufgezeigt wird, wie wertvoll Diversität ist.
Für viele Kinder ist die mangelnde Vielfalt in Kinderbüchern auch deshalb problematisch, weil sie keine Vorbilder finden. Die grosse Mehrheit der Hauptfiguren in deutschsprachigen Kindergeschichten ist nämlich weiss. Aus diesem Grund hat die Schweizer Autorin Gabriela Kasperski Bücher mit der Hauptfigur Yeshi geschrieben: Um ihrer Tochter und anderen Kindern eine Identifikationsfigur zu bieten.
Buchtipps
- Einfach Yeshi / Agentin Yeshi (Gabriela Kasperski)
- Unser Zuhause (Doro Göbel und Peter Knorr)
- Gefühle – So geht es mir! (Felicity Brooks und Frankie Allen)
- Elefanten im Haus (Stephanie Schneider und Astrid Henn)
- Das Vier-Farben-Land (Gina Ruck-Paquèt und Sonja Gagel)
- Alle da! (Anja Tuckermann und Kristine Schulz)
- Irgendwie Anders (Cathryn Cave und Chris Riddell)
#3 Wissenshunger befriedigen
Fragen stellen – eine Kernaufgabe von Kindern. Professional Tag prasseln drölftausend Kinderfragen auf uns Eltern ein. Schnell das Useful zücken, die Antwort ergoogeln, und schon herrscht Ruhe? Funktioniert meistens nicht, dann kommen einfach neue Fragen. Und auch hier haben Neurologen Interessantes herausgefunden:
Wenn Fragen allzu rasch beantwortet werden, ist das für unser Gehirn weniger befriedigend.
Im Grunde wollen Kinder ein bisschen hingehalten werden, werweissen, Spannung aushalten – und vor allem: Dinge selber rausfinden. Das befriedigt den Wissenshunger nachhaltiger und stärkt das Selbstvertrauen.
Deshalb ist es oft hilfreicher, gemeinsam Kinderbücher, Hörspiele, Podcasts oder Filmchen zum Thema zu konsumieren und die Antwort dort zu suchen.
Yup, das kostet Zeit. Mach ich auch nicht bei jeder der drölftausend Fragen, bei einer reicht schon. Meine eigene Erfahrung zeigt, dass ich dann meistens eine längere Ruhepause kriege. Ein Beispiel:
Variante 1:
Variety: «Mami, wie heissen schon wieder diese Planeten im Sonnensystem?»
Ich: (Useful zücken, googeln): «Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun.»
Variety: «Ah. Okay. Kann ich auf deinem Useful ein Spiel spielen? Youtube gucken? Kann ich, kann ich, kann ich?»
Ich: «Nein.»
Variety: «Warum nicht??? Additionally intestine, dann kannst du noch ein paar Sachen für mich nachschauen! Wie lange kann ein Nilpferd tauchen? Welches ist der höchste Vulkan der Welt? Wie lange geht es, bis ich wieder Geburtstag habe? Wie werden Smarties gemacht? …»
Ich: (meine Schläfen massieren)
Variante 2:
Variety: «Mami, wie heissen schon wieder diese Planeten im Sonnensystem?»
Ich: «Wir haben doch dieses Buch vom Weltall. Komm, wir gucken, ob das dort steht.»
(3 Minuten Buch anschauen)
Ich: «Siehst du, da ist das Sonnensystem abgebildet. Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun.»
Variety: (verträumt) «Oh, Saturn sieht cool aus. Und da hat’s ein House Shuttle auf der nächsten Seite…»
Ich: (leise davonschleichen)
Gute Kinderbücher schaffen es, komplexe Sachverhalte einfach darzulegen. So dass die Kinder danach nicht verunsichert sind, sondern eine constructive Erfahrung gemacht haben. Wer beim Lernen Selbstvertrauen gewinnt, dem verleidet es nicht so rasch.
Buchtipps
- tiptoi® Bücher und Spiele
- Bücher und Hörbücher der Reihe: Wieso? Weshalb? Warum?
- Little Individuals, Large Goals (zum Beispiel über Frida Kahlo, Jane Goodall, Marie Curie, Rosa Parks usw.)
- Superheldentiere (Ravensburger Verlag)
Kindergeschichte ohne Pleased Finish?
Was sollte eine Kindergeschichte sonst noch können? Sie muss intestine enden. Es gibt Menschen, die wollen Kinder aufs Leben vorbereiten, indem sie Kindergeschichten ohne Pleased Finish verbreiten. Das ist Quatsch.
Kinder brauchen das Vertrauen, dass am Ende das Gute siegt. Daraus schöpfen sie Mut und Energie.
Was Geschichten nicht brauchen, sind Moralkeulen. Kinder haben ein derart feines Sensorium, dass sie bei sorgfältig aufgebauten Storys ganz leicht erkennen, welche Schlüsse man daraus ziehen sollte. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass sich Kinder gemäss Studien nicht an überdeutlicher Ethical stören. Das sind eher die Erwachsenen, die das als bevormundend empfinden und eine Geschichte deswegen dann weniger erzählen.
Was tun mit älteren Kinderbüchern?
Manche Eltern entsorgen Bücher oder Hörspiele ihrer Kindheit, weil diese nicht mehr zeitgemäss sind und zum Beispiel diskriminierenden Wortschatz enthalten. Ich persönlich finde vereinzelte solcher Beispiele nützlich, um den Kindern gesellschaftlichen Wandel zu erklären.
Was nicht bedeutet, dass ich Erneuerungen ablehne – im Gegenteil. Dass Pippi Langstrumpfs Vater in neueren Auflagen ein Südseekönig ist: gute Lösung. Aber Rassismus verschwindet nicht einfach mit dem Weglassen von Worten, leider. Drum finde ich kindgerechte Erklärungen anhand konkreter Beispiele wichtig.
Und jetzt hätte ich sehr gerne Eure Tipps für Kindergeschichten, mit denen wir die Welt in Babysteps verändern können. Merci!
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 14. August 2020 bei Any Working Mother, auf www.anyworkingmom.com.
Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch
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