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Freitag, Juni 6, 2025

«Fingers off» durch die Schulzeit


Was passiert, wenn Eltern ihren Kindern zutrauen, den eigenen Weg zu finden – während das Schulsystem diesen sehr genau vorgibt? Nadja Schnetzler erzählt, wie sie ihre Kinder mit Hilfe des «Fingers off»-Ansatzes durch die Schulzeit begleitet hat.

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Rothaariges, lachendes Mädchen, das sich ausgelassen bewegt. - Zwischen Notendruck und Selbstentfaltung: «Hands off» durch die Schulzeit

Als ich 14 struggle, hatte ich für mich entschieden, dass ich aufs Gymnasium gehen wollte. Ich hatte Spass an Sprachen. Alles, was mit Sprache zu tun hatte, fiel mir verhältnismässig leicht. Doch an Mathe und allgemein an Naturwissenschaften konnte ich überhaupt nicht andocken, und das schon seit der ersten Klasse. Heute würde man von Dyskalkulie sprechen.

Auch heute kann ich mit Zahlen eher schlecht umgehen, und der Mathematikstoff meines Kindes überfordert mich schon seit der 5. Klasse massiv. Wenn ich ein mathematisches Downside lösen muss, und sei es auch so vordergründig banal wie ein Dreisatz, greife ich zum Web. Kopfrechnen kann ich überhaupt nicht.

Ich wollte additionally ans Gymnasium, und die Sprachbegabung sprach dafür, alles andere aber klar dagegen. Der gesamte Lehrkörper, abgesehen vom Lateinlehrer, riet mir vom Vorhaben eher ab. «Das wird sehr hart», sagten sie mir, «und die Aufnahmeprüfung ist mit diesen Mathenoten wohl kaum zu schaffen».

Der unterbewusste Trick meiner Eltern

Meine Eltern waren eher «Fingers off» und liessen mich machen, beziehungsweise wendeten sie – vermutlich unterbewusst – einen Trick an, der bei mir den Willen, diese Gymnasium-Prüfung zu schaffen, massiv anheizte: Sie sagten mir, dass es für sie kein Downside wäre, wenn ich nicht ans Gymnasium käme und dass eine Berufslehre für mich wohl eher das wäre, was geeignet wäre.

Ich bin ein grosser Fan des Dualen Bildungssystems in der Schweiz und würde meine Kinder nie davon abhalten, eine Berufslehre zu machen, wenn sie das möchten, im Gegenteil. Ich aber struggle wild entschlossen und bereitete mich so intestine wie möglich auf diese Gymnasialprüfung vor.

Das Resultat der Prüfung struggle – wie zu erwarten struggle – komplett polarisiert: In Deutsch, Französisch und Latein struggle die Prüfung ein Klacks und ich erhielt überall die Bestnote. In Mathematik konnte ich kaum eine der Aufgaben lösen und hatte eine glatte 2 (in der Schweiz entspricht das der 5 im deutschen System).

Ich hatte Lehrer:innen, die erkannten: Die Begabungen auf der einen Seite wiegen die Defizite auf der anderen Seite auf.

Die fünf Jahre Gymnasium liefen ähnlich ab; in Sprache und Geisteswissenschaften sowie in Musik hatte ich keine Mühe, in Naturwissenschaften stand ich immer kurz vor dem Absturz. Aber ich hatte Lehrer:innen, die eines erkannten: Die Begabungen auf der einen Seite wiegen die Defizite auf der anderen Seite auf.

Und unser Gymnasium struggle mit 300 Schüler:innen so klein, dass die Lehrer:innen noch jede:n Schüler:in wirklich intestine kannten und mit den anderen Lehrpersonen im Austausch standen. Diese individuelle Betreuung rettete mich durch bis zur Matura (Schweizer Abitur), die ich wie schon alles zuvor so abschloss, wie es zu erwarten struggle: in Sprachen mit Höchstnoten, in Naturwissenschaften mit Tiefstnoten.

Ich litt unter dieser Konstellation nicht besonders, weil ich wusste, dass ich es mit dieser Polarität irgendwie schaffen würde, und weil alle Lehrer:innen mich in meinem Vorhaben unterstützten.

Und so setzte ich meine Zeit für alles ein, was mit meinen Begabungen zu tun hatte. Ich struggle die Chefredakteurin der Schülerzeitung, ich nahm Gesangsstunden, ich trat im Theater auf. Die schwachen Fächer ignorierte ich nicht vollkommen, liess sie aber tendenziell hyperlinks liegen. Mit meinen Lehrer:innen stand ich in ständigem Kontak. Sie wussten, wie es gesamthaft aussah und dass ich mit diesem polarisierten Portfolio wohl doch irgendwie durch die Reifeprüfung kommen würde, auch wenn es eine Zitterpartie werden würde.

Die Wirtschaft fragt heute Personen nach, die überall «akzeptabel» sind. In gewissen Dingen herausragend und in anderen defizitär, das geht nicht mehr.

Ich bin mir sicher, dass es heute schlicht und einfach unmöglich ist, in einer solchen Weise und Konstellation durchs Gymnasium zu kommen, geschweige denn eine Aufnahmeprüfung zu schaffen. Was heute erwartet wird, ist zumindest in allen Fächern ein solider Durchschnitt. Die Wirtschaft und die Gesellschaft fragen heute Personen nach, die überall «akzeptabel» sind. Sie dürfen auch überall hervorragend sein, aber in gewissen Dingen herausragend und in anderen defizitär, das geht nicht mehr.

Spezialist:innen statt Allrounder:innen

Und hier setzt mein «Fingers off»-Ansatz an, was die Schule betrifft. Ich finde, das Schulsystem legt heute viel zu viel Wert darauf, dieses «Durchschnittsniveau» zu fördern und zu zementieren, als zu schauen, welche einzigartigen Anlagen ein Sort effektiv hat, und es diese erkennen, ausbauen und kultivieren zu lassen. Wir fördern heute Allrounder:innen, keine Spezialist:innen. Doch Kinder – nicht alle, aber viele – haben schon im Schulalter klare Vorlieben und Interessen.

Ich sage nicht, dass Kinder gewisse Fächer nicht belegen sollten. Auch mir – selbst wenn ich auch heute noch keine Gleichung mit zwei Unbekannten lösen kann – hat der Mathematikunterricht sicher in irgendeiner Artwork und Weise etwas gebracht. Man konnte aber schlicht und einfach nicht von mir erwarten, dass ich darin brilliere oder auch schon nur eine genügende Be aware schreibe.

Je mehr der Fokus auf Schwächen liegt, desto mehr verlieren alle Beteiligten.

«Fingers off» heisst für mich hier: Stärken stärken und Schwächen minimieren. Was, wenn jemand bei mir als 8-jähriges Mädchen erkannt hätte, dass ich unter einer klaren Dyskalkulie leide? Eine Mathematikerin wäre ich sicher nicht geworden, doch hätte ich bestimmt mehr Spass an Naturwissenschaften gehabt. Gleichzeitig wäre meine Vorliebe für Sprachen, Texte und Geisteswissenschaften sicherlich auch dann viel stärker geblieben.

Als Mutter versuche ich, die Vorlieben, Interessen und Neigungen meiner Kinder zu unterstützen und nicht auf Defiziten und Schwächen herumzureiten. Je mehr der Fokus auf Schwächen liegt, desto mehr verlieren alle Beteiligten. Ich bin relativ unaufgeregt, wenn es in gewissen Fächern schlechte, sogar sehr schlechte Noten gibt, solange ich merke, dass das Sort sich bei den Themen, für die es sich wirklich interessiert, stark ins Zeug legt und auch Erfolgserlebnisse hat.

Das muss nicht zwingend in der Schule sein. Mein Sort hat zum Beispiel seit frühester Kindheit den Wunsch, Schauspieler:in zu werden und unternimmt selbständig regelmässig vieles, um dieses Ziel zu erreichen. Von der Anmeldung bei Casting-Agenturen über das Mitmachen bei Opernprojekten für Kinder bis zum Mitwirken in einem professionellen Musical in Zürich hat das Sort alles selber eingefädelt und brauchte nur ab und zu ein wenig Unterstützung von uns, nach der es spezifisch gefragt hat.

Der Fokus kann auch ausserhalb der Schule liegen

«Fingers off» heisst für mich in diesem Zusammenhang auch, auszuhalten, dass der Schwerpunkt wegen dieser Aktivitäten ganz klar nicht auf der Schule liegt, sondern auf diesen ausserschulischen Tätigkeiten, und das Vertrauen zu haben, dass mein Sort dort mindestens so viel lernt wie in der Schule, wenn nicht sogar mehr (ziemlich sicher mehr!).

Und mit dieser Haltung kommt, dass ich auch dazu bereit sein möchte, diese Haltung gegenüber Lehrer:innen, anderen Schüler:innen oder anderen Eltern zu vertreten. Ich weiss, dass dieses Sort einen bestimmten Weg eingeschlagen hat, den es selbst definiert und für sich als intestine befunden hat, und dass alles, was es auf diesem Weg unternimmt, per se richtig und intestine ist. Und wenn das heisst, dass es einen Umweg gibt, was seine «klassische» Schulkarriere betrifft, dann ist das in Ordnung.

Ich wünsche mir ein Bildungssystem, das bei Kindern Stärken stärkt und mit Schwächen gescheit und sicher nicht abwertend umgeht.

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Interessen und Neigungen zu verfolgen wichtiger ist als in allen Themen durchschnittlich intestine zu sein. Das würde unsere Gesellschaft diverser, bunter und aus meiner Sicht interessanter machen. Ich wünsche mir ein Bildungssystem, das bei Kindern Stärken stärkt und mit Schwächen gescheit und sicher nicht abwertend umgeht. Ich wünsche mir ein Berufsleben, in dem es wichtiger ist, eine Sache zu machen, die einen selber erfüllt und gleichzeitig anderen nützt, als um jeden Preis ein besonders hohes Einkommen zu erwirtschaften.

Vielleicht helfen uns Initiativen wie diejenige zum bedingungslosen Grundeinkommen dabei, solche Visionen besser umzusetzen.

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Meine Gedanken heute: Intrinsische Motivation fördern

Meine Kinder sind nicht mehr in der Schule, und ich muss nicht mehr ständig navigieren zwischen einem System, das meinem «Fingers off»-Ansatz in vielem ständig in die Quere kommt und meinem eigenen Wunsch, wie ich meine Kinder begleiten will. Doch ich beobachte, zum Beispiel als Mitglied einer Patchwork-Familie, in der Kinder im Schulalter leben, dass sich noch nicht so viel geändert hat im Schulsystem. Immer noch höre ich viele Geschichten von Eltern über ein Schulsystem, das versucht, einen «One-size-fits-all» Ansatz für alle Schüler:innen zu fahren.

Wie es stattdessen funktionieren könnte, habe ich bei einem Projekt an einer Montessori-Schule in Sarajevo erlebt, die von einer Freundin gegründet wurde. In dieser Schule durfte ich gemeinsam mit meinem langjährigsten Freund, Laurent Burst, eine Woche lang die Excessive-Faculty-Schüler:innen dabei begleiten, ihren eigenen Goal – den eigenen Antrieb, Motor, das «Warum» – zu formulieren.

Die Schüler:innen waren zwischen 13 und 18 Jahre alt. Sie formulierten ihren Goal basierend auf einem Prozess, der es ihnen erlaubte, darüber zu reflektieren, was sie in ihrem Leben wirklich interessiert, wo ihre Neugier liegt, womit sie sich wirklich beschäftigen möchten – jetzt, nicht in 10 Jahren. Für viele der Kinder struggle es das erste Mal, dass sie sich erlaubten, selber darüber nachzudenken, was sie möchten. Es gab zahlreiche Jugendliche, die von dieser Vorstellung zuerst schockiert waren: «Bei uns in der Familie sagen die Eltern, was man erlernt oder studiert», sagten nicht wenige von ihnen.

Das Spannende struggle, dass durch die Reflexion der Jugendlichen darüber, was sie JETZT gerade interessiert, Themen an die Oberfläche kamen, die den Lehrer:innen der Montessori-Schule erlaubten, ihren Stoff auf diese momentanen Interessen auszurichten. Du möchtest dich mit Naturheilkunde befassen? Dann sorgen wir dafür, dass du dieses Thema in allen Fächern berühren kannst, in Mathematik, im Sprachunterricht, in der Chemie und so weiter.

Nichts ist für mich absurder als die Frage: «Was möchtest du mal werden?»

Die intrinsische Motivation stieg bei den Jugendlichen, die ihren Goal formuliert hatten, stark an. Und die Lehrpersonen merkten: Es ist komplett egal, ob dieser Antrieb in einem Jahr noch der gleiche ist. Vielleicht merkt diese junge Frau in einem Jahr, wenn sie ihren Goal anschaut und neu formuliert, dass sie nun für etwas ganz anderes brennt.

Nichts ist für mich absurder als die Frage: «Was möchtest du mal werden?» Viel spannender ist doch die Frage: «Wer bist du gerade jetzt?»

Ich erinnere mich an ein Abendessen mit Freund:innen, bevor wir Kinder hatten. Das Elternpaar kam mit einem dreijährigen Sort zu Besuch. Das Sort hatte einen Koffer voller Kabel und Stecker dabei. Die Eltern fragten uns, ob sie kurz alle Steckdosen sichern können (mit einem Blindstecker, damit man anschliessend nichts mehr einstecken kann), danach liessen sie das dreijährige Sort fröhlich mit seinem aktuellen Lieblingsspielzeug spielen.

«Das Interesse an Kabeln und Steckern kam mit rund 2,5 Jahren», erzählte die Mutter. Sie habe sofort gemerkt, dass das etwas ist, was ihr Sort fasziniert, und seither seien Stecker jeden Tag das grosse Thema. Sie ergänzte: «Ich bin recht sicher, dass früher oder später was anderes interessant wird, und dann werden wir das ermöglichen».

Das ist für mich eine Erziehung auf Augenhöhe. Immer gerade das ernst nehmen, was ist.

Das ist für mich eine Erziehung auf Augenhöhe. Immer gerade das ernst nehmen, was ist. Das, was sich gerade zeigt und wo das Interesse hingeht, zu fördern und ernst zu nehmen.

Das macht die Kommunikation mit der Schule anspruchsvoll, weil die Schule behauptet, dass Kinder sich für das interessieren müssen, was ihnen die Schule anbietet. In der ganzen Schulkarriere meines älteren Kindes musste ich immer wieder hören: «Wir können nicht auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingehen».

Das Sort löste zum Beispiel eine Aufgabe auf dem Französisch-Arbeitsblatt, indem es ein Quiz mit neuen Fragen und Antworten erstellte und jedem anderen Sort eine dieser Fragen als kleines Zettelchen auf den Tisch legte, anstatt das Arbeitsblatt auszufüllen. «Das kann ich so nicht bewerten», struggle die Antwort der Lehrerin, obwohl mein Sort sich eindeutig mit der Materie auf dem Arbeitsblatt befasst hatte. Diese Haltung hat sehr viel intrinsische Motivation bei meinem Sort zerstört.

«Lassen Sie das Sort in Ruhe!»

Mein Mantra struggle darum in jedem Elterngespräch von der 4. bis zur 9. Klasse: «Lassen Sie das Sort in Ruhe, es kommt aus sozialen Gründen in die Schule und ob es den Stoff so verarbeitet, wie Sie das gerne hätten, ist für uns als Eltern egal.»

Ich sagte meinem Sort in diesen Jahren immer wieder: «Mir ist es wichtig, dass du in die Schule gehst. Dort lernst du, mit Menschen klarzukommen. Das ist eine Fähigkeit, die du dein ganzes Leben brauchen wirst. Das ist für mich der Grund, dass du in die Schule gehst. Alles andere lösen wir. Du musst dir keine Sorgen machen, wenn die Schule für dich ein Ort ist, der nicht deinen Bedürfnissen entspricht. Du kannst deinen Interessen ausserhalb der Schule nachgehen und dort das verfolgen, was dir wirklich wichtig ist.»

Unsere Tochter hatte andere Herausforderungen mit der Schule. Sie wollte unbedingt immer alles genauso machen, wie es vorgegeben struggle, und setzte sich dadurch selber oft mehr unter Druck, als wir als gesund empfanden. Dort ging es darum, mit ihr das Gespräch darüber zu suchen, wie stark sie sich wirklich von den Ansprüchen der Schule leiten lassen möchte, und wie sie mit dem grossen Druck umgehen will, den sie sich selbst macht.


Passend dazu: Das Manifest zur Fingers-off-Philosophie

Hands off-Parenting Plakat

Wie wir Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, authentische, selbstbestimmte Erwachsene zu werden, die für ihre eigenen Bedürfnisse einstehen und auf die Bedürfnisse anderer Menschen eingehen können.

Das Manifesto zum Ausdrucken in A3- oder A4-Format findest du exklusiv bei uns im Retailer als Obtain.


Noch mehr zu Fingers-off-Parenting?

Hier geht’s zum File mit allen Texten zur Fingers-off-Philosophie von Nadja Schnetzler.

Nadja Schnetzler

Autorin

Nadja Schnetzler ist Unternehmerin, Zusammenarbeits-Coach und Mutter von zwei mittlerweile erwachsenen Menschen. Sie brennt dafür, andere auf dem Weg zu ihrer Goal zu begleiten, besseres Arbeiten und Entscheiden zu ermöglichen. Gemeinsam mit Laurent Burst hat sie kürzlich das Buch «Zusammenarbeit im Move» veröffentlicht. Vor einigen Jahren bloggte sie über ihre Philosophie des Fingers-off-Parenting. Die Weblog-Texte hat sie nun für mal ehrlich in Buchform zusammengetragen – dieser Textual content ist ein Auszug davon. nadjaschnetzler.com


Informationen zum Beitrag

Veröffentlicht am 15. Mai 2025


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